IN BEWEGUNG - über Susanne Neumanns Ausstellung Galerie Erdel, Regensburg

Weg – nicht zu fassen!

Susanne Neumann ist schwer zu fassen. Die junge Künstlerin führt ein Pendlerleben zwischen ihrem Geburtsort Waldsassen, Wien und der Toskana. Das Unterwegsein ist ein wesentlicher Teil ihrer Biografie. Anfang zwanzig zog sie von der Nordoberpfalz nach Florenz. Sie studierte an der dortigen Staatlichen Akademie bei Prof. Gustavo Giulietti Malerei. 2002 der Abschluss mit Auszeichnung. Seit 2000 bereits Zusammenarbeit mit Daniel Spoerri.

Von der Oberpfalz in die Toskana – und über Berlin nach Wien und wieder zurück

Das stetige in Bewegung bleiben ist ihr bis heute geblieben. 2004-2010 experimentelle Jahre in Berlin. Seit 2010 hat Susanne Neumann ein Atelier in Wien. 2014 begann sie dort das Studium der Philosophie an der Akademie der Bildenden Künste bei Prof. Dr. Elisabeth von Samsonow. Seit 2016 arbeitet sie an ihrer Promotion über die »Hypnerotomachia Poliphili«, einem Roman der Renaissance und dessen Einfluss auf europäische Gartenkunst und das Genre der Science-Fiction.

Susanne Neumann verbringt fast so viel Zeit auf den Reisen zwischen den Orten als an den Orten selbst. In Seggiano kümmert sie sich um „Il giardino“, den Skulpurengarten von Daniel Spoerri, außerdem ist sie auch die Vizepräsidentin der gleichnamigen Stiftung und in ihrem neuesten Projekt geht es um die Umgestaltung eines jahrelang ungenutzten Badehauses in Maiersreuth in einen Ort für Kunstausstellungen, Theateraufführungen und Symposien.

Das eigentümliche Eigenleben der Gegenstände

Sammeln, archivieren und rekontextualisieren sind Susanne Neumann große künstlerische Handschrift. In ihren Werken lässt sie Erinnerungen weiterleben, schenkt der Vergangenheit und den Gegenständen ein neues Eigenleben in der Gegenwart. Auf eine höchst spannende Art und Weise.

Persönliches, wie z.B. Fotos von ihrer Großmutter arrangiert Susanne Neumann mit Gegenständen, die sie auf dem Wertstoffhof gefunden hat, in einer Art fiktionalisiertem Wohnzimmer. Die Wucht der stets präsenten Vergangenheit irritiert. Die Größe der Installation und die Findigkeit im Detail der Kompositionen überraschen den Betrachter und stellen stetig neue Assoziationsketten her.

Zwischen Mythos und gesellschaftlicher Realität

Susanne Neumanns künstlerisches Werk ist eng mit ihren Lebenswirklichkeiten verknüpft. Sie ließ den alten Holzsägebock ihres Großvaters in Bronze gießen, eine Art der Sakralisierung einer vergangenen Agrarkultur. Seit 2018 steht das Kunstwerk in der Sammlung des Bezirks Oberpfalz.

Ein anderes Beispiel ist die Installation ‚Weißes Gold‘ (2010) in einer ehemaligen Fertigungshalle der AEG, nun Kulturort „Zentrifuge“ in Nürnberg. Ein Wasserfall aus Keramik ergießt sich aus dem Gebäude einer aufgelassenen Fabrik. Physisch wertloses Material, traurig anmutende Überreste des Niedergangs eines einst so wichtigen Industriezweigs. Susanne Neumann barg das Porzellan aus der 1866 gegründeten und 1993 in Konkurs gegangenen Porzellanfabrik Bareuther/ Gareis im oberpfälzischen Waldsassen.

Ein drittes Beispiel zeigt Susanne Neumanns engagierte Haltung zu soziopolitischen Vorgängen in der Region. In ihrem Projekt ‚Sacro Bosco‘ (2016) bezieht sich die Künstlerin durch den Titel auf einen ‚Heiligen Hain‘ in Italien – eine Art Zauberwald mit grotesk anmutenden, monumentalen Renaissance-Skulpturen nahe der Stadt Bomarzo. In ihrer Installation spekuliert Susanne Neumann über den Wald als einen Leben spendenden, bedrohten Naturraum und als einen Ort der Inspiration, der Phantasie und der Sehnsucht: Der Wald als hochsensibles System miteinander vernetzter und kommunizierender Lebensgemeinschaften, als romantischer Sehnsuchtsort und gleichzeitig auch als Müllhalde und Rohstofflieferant benützter Raum. Der Wald als vielschichtige Gemengelage unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten. Denn gleichzeitig dokumentiert die Künstlerin die Zerstörung des oberpfälzer Waldes durch großvolumige Harvester Holzvollerntemaschinen. Seit Monaten führt Neumann einen Kampf gegen die kruden Erntemethoden der modernen Holzwirtschaft, allen voran die Bayerischen Staatsforsten, die den Wald zerstückeln.

Kunst am Puls der Zeit

Susanne Neumann ist eine sensible Beobachterin und eine mutige Künstlerin. Ihr wacher Blick für die Veränderungen unserer Umgebung zeichnen sie aus. Sie ist rasch im Handeln und stark im Verfolgen ihrer Überzeugungen. Sie weicht schwierigen Themen nicht aus. Im Gegenteil: Sie freut sich über kontroverse Diskussionen. Gespräche, Ereignisse, Kunst als Inszenierung, die Gedanken in Bewegung bringen. Sehr sehenswert.

Dr. Wolf Erdel, Galerist, Regensburg