Der Body der Botin der Botschaft (long version, deutsch)

Susanne Neumann – Autonautin: Waldsassen, Berlin, Wien, Seggiano.

Die Arbeit von Susanne Neumann lässt sich inhaltlich als eine Sammlung von Erinnerungs-Stücken und Reise-Impressionen bezeichnen, die eine irritierende Vielheit kennzeichnet. Sie inspiriert aber gleichermaßen, sich auf die Suche nach dem Band zu machen, das die Teile unterschwellig verbindet. Dabei stößt der Betrachter auch auf die Frage der künstlerischen Existenz im Laufe der Zeit, im Zeitalter der elektronischen Medien und im Zusammenhang mit der technisch machbaren Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen heute.

Auf eine kurze Formel gebracht ist der bildende Künstler ein Bote, der mit Bild-Medien Botschaften befördert, und er ist Teil eines Betriebs-Systems Kunst, somit ist jede Botschaft, die der Künstler befördert, auch eine Nachricht über die Existenz der Kunst, soweit sie Produkt und Inhalt des künstlerischen Betriebssystems ist.

Dieser autopoetische, sich selbst erzeugende Betrieb, wird häufig mit der Idee einer absoluten Kunst verwechselt. Von dieser Idee nährt sich die Sehnsucht.

Susanne Neumann verbildlicht diesen Grundgedanken in ihrem Werk. Dies geschieht dadurch, dass sie das Abfahren einer bestimmten Route durch halb Europa in unterschiedlicher Weise künstlerisch reflektiert und insgesamt als Performance-Projekt aufzieht. Sie fährt mit einem silbergrauen VW Golf von ihrem Heimatort Waldsassen in der Oberpfalz über Berlin und Wien nach Seggiano, wo sie im Garten Daniel Spoerris in der Toskana arbeitet und ein eigenes Atelier unterhält.

Insgesamt kultiviert sie ihr Unterwegs-Sein dergestalt, dass es zur hermeneutischen Metapher wird.

Dies geschieht unter der besonderen Berücksichtigung des historischen Wandels im informationstechnologisch medialen Bereich, den - kultur-antropologisch betrachtet - angefangen von Buschtrommel und Mokassin-Telegrafen und Marathon-Läufer bis zum Internet eine zunehmende Trennung von Boten und Botschaft, von Körper und Signal kennzeichnet.

Der Körper verschwindet. Er wird zum Fluchtpunkt der künstlerischen Bewegtheit.

In diesem Sinne stellen die von Neumann verwendeten Arten der bildnerischen Medien, zu denen auch Windschutz-Scheibe und Rück-Spiegel gehören, ein kultur-geschichtliches Arsenal dar, das von Manifestationen klassischer material-gerechter Handwerklichkeit bis zum Computer-Programm reicht.

Dabei sind es die Erfahrungen im Hautkontakt mit dem zu transportierenden Medium, auf die es der Künstlerin ankommt. Was Susanne Neumann interessiert ist die körpergestützte Nähe- und Ferne-Beziehung, die parallel zur körperlosen elektronischen Daten-Autobahn an den Medien festmacht; sie bildet den Raum, in dem sie ihre Thematik ausformt.

Neumanns bildnerischen Aktivitäten im fahrenden Wagen und am Rande der Strasse, die da als Abstraktion von Kommunikation in Asphalt und Beton erscheint, werden zu Seh-Tankstellen, in denen die freie und irgendwie anachronistisch anmutende Wahl zwischen Objet trouvee, Zeichnung, Film, Malerei, Ready Made, Face-Book-Auftritt, Installation und anderem besteht.

Dazu gehören sogar Teile einer insolventen Porzellan-Fabrik aus ihrem Heimatort, die sie von Waldsassen in das Ausstellungs-Gebäude „Halle 14 auf AEG“ nach Nürnberg transportierte. Unter anderem sind es Modeln, aus denen weltweit exportiertes und kommuniziertes Gebrauchs-Porzellan hervorgegangen war.

Bedeutsam in der Relation zur menschlichen Körper-Größe ist dabei Neumanns Gleichstellung von Strasse, Auto und Bild als Kommunikations-Mittel.

Das Auto fungiert hier als eine Art Rohr-Post-Behälter.

Die Botin, die diesen Medien-Begriff in ihren Aktivitäten auslebt, ist als Fahrerin, Filmerin, Malerin und Macherin immer hautnah dran und reflektiert ihre körperliche Beanspruchtheit als Symbol im Kontext vergangener Boten-Kunst.

1000 Kilometer Waldsassen - Seggiano!

Die Botin erfährt, dass das Erlebnis der Strasse, die sie zum Transport ihrer Botschaft benutzt, das herkömmliche Subjekt-Objekt-Verhältnis verkehrt. In der Berührung mit der Strasse, wird sie, die Botin, d.h. ihre körperliche Bedingtheit und das künstlerisch motivierte Leben, zur Botschaft, die sie eigentlich übermittelt und mit der sie verwächst.

Die Botschaft, die der Rohr-Post-Auto-Behälter beinhaltet, ist die Botin, die Kunstwelt, die uns sagen will, dass es sie gibt, in Fleisch und Blut.

Die Ausstellung war bereits für 2013 geplant gewesen, als der Kunstverein Weiden sein 20jähriges Jubiläum beging.

Generalthema der vorjährigen Aktivitäten war die lokale und regionale Verortung des Vereins und Susanne Neumann hätte unter den Gesichtspunkten von Regionalität und der Dialektik von Zuhause und Unterwegssein, die ihre Arbeit bestimmt, gut ins Programm gepasst, auf dem Programm stand allerdings schon zuviel des Guten und drohte die Ressourcen an lokaler Aufmerksamkeit zu verschlingen.

Susanne Neumann lebt und arbeitet in ihrem Geburtsort Waldsassen, in Berlin, Wien und Seggiano, das in der südlichen Toskana am Fuß des Monte Amiata liegt. Das ist der Ort, wo Daniel Spoerri, ein namhafter Vertreter des Nouveau Realisme, seit 1990 im Geiste großer Gartenkultur wie der des englischen Landschaftsgartens einen Skulpturen-Park anlegt.

Der ursprüngliche englische Garten stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist eine Manifestation der Aufklärung und des Glaubens an die menschliche Freiheit und Individualität, die im Naturrecht gründet. Für den „Homo Quaerens“, den „Suchenden Menschen“, ein guter Zielort.

Neumann ist hier in Stiftungsrat und Kuratorium tätig.

Bei den Arbeiten, die Susanne Neumann im einzelnen ganz bzw auszugsweise im Kunstverein Weiden vorstellt, handelt es sich um thematische Reihen bzw „Anhäufungen“, deren Elemente einzeln präsentiert werden können, sich aber auch im Rahmen einer Installation wie die Satzteile eines Schriftsatzes zu unterschiedlichen Konfigurationen und Bedeutungs-Feldern um- und zusammenstellen lassen.

Die Arbeiten entstammen dem Motiv-Kreis des motorisierten Unterwegs-Seins und schließen damit an eine Tradition der Landschafts- und Reise-Kunst an, die bis in die illusionistische pompejanische Architektur-Malerei der Antike reicht (Siehe: 10: Nature ex Fabrica).

Neumanns Arsenal, aus dem eine Auswahl getroffen wird, umfasst folgende Titel:

1. EMPIRE ME: Installation "supermondo: nein", 1qm Staat auf dem Karlsplatz, Wien, 2012, mixed media, Dixie-Klo als Freibeuter-Schiff

2. ALPENPANORAMA: Folklore-Paar mit Fels und Auto im Anblick der Berge, Post-Karten-Ausschnitte-Blow-Ups, Fels-Nachbau aus Pappmachee, Februar 2013, Zillertal, Tirol

3. INNOCENTI: Installation Sommer 2012 in Todi, mit Soundanlage und einem Gedicht von Jacopone da Todi über ein verbranntes Herz (damals brannte in Todi überall die Erde / Olivenhaine), Neonschrift, Asche und Müll, Sound;

4. MOBILITY: Ausschnitte aus der MOBILITY- Reihe; Gemälde: Auto am Straßenrand, Fluchtpunkt + Windschutzscheibe, Baustellen, Objekte: Autobahn-Schoggi-Verpackungen, Sammlung abgerissener Rückspiegel, Fotografien: Tacho, Serie Toscana a la Postcard,. Text Helmuth Hein: Ausstellung 2007 Kunstverein GRAZ/ Regensburg

5. Wieder MOBILITY: Foto - Arbeit aus der Werkreihe: MEINE AUFENTHALTSORTE "verortet" (mit handgemachten Schablonen auf den Boden gesprayed) im Zusammenhang mit dem kompletten Fahrtenbuch (alle Reisen ab 2001), bevorzugter Ausstellungs-Modus: einsam in einer Riesen - Halle!

6. AUGEN HINTER DER BRILLE: Fundstücke, alte Teppichelemente aus Großmutters Haus (Neumanns jetzigen Atelier); Format 50 x 50 cm, 13teilig

7. SKULPTURENMIXER: Fundstücke = KUNSTLOSE KUNST

8. INVENTUR: Foto-Portraits aller alle Häuser in Waldsassen, Boden- oder Wand-Installation.

9. MALEREI: MATTERHORNSERIE, Format 42 x 60cm, 2011; Bilder zum Thema JAGEN, Format 100 x 160 cm, Papier und Leinwand, Langholzstapel (Malerei und Fotografie)

10. VIDEOS : Nature ex Fabrica/ weißes Gold – über das Verschwinden 1 Porzellan-Fabrik und anderer Meraviglien/ Alongside il Lago/ Installation : View „Il Lago“/ Tratto Bellinzona San Bernardino/ Dreaming within a dream/ Grün die Wälder Grau die Burgen Oberpfalz mein Heimatland/ Saltara means Hoppa/ The Doors ( Film-Ausschnitt-Montage, 16 Minuten, 1993 – 2004)

11. SONSTIGE ARBEITEN: Knight in Armor called 02, 8- teiligeFotoarbeit/ Objekte: Matt-Sculptures/ Collage: Königin für eine Woche/ Fotoarbeiten: Sculpture trouvee/ Installation: Arten (for Jo Franzen) mit Josef Gareis (Auflistungen täglich beobachteter Vögel von 1981 bis 2011)/ In the Woods: Malerei, Steinschichtungen und Langholzstapel

Als Künstlerin übt Susanne Neumann quer durch ihr 1995 begonnenes facettenreiches Werk eine Tätigkeit in einem bezeichnenden Maße aus, die laut Hans-Georg Gadamer jenseits sichtbarer Manifestationen zum Kern von Kunst gehört. In Gadamers Hermeneutik oder Götter-Boten-Philosophie wäre der Kunst-Kern ein Zusammenwirken von Spiel, Symbol und Fest, und dazu braucht es, so unsere Auffassung, Sammler/innen und Versammler/innen, die es verstehen, die Dinge und die Menschen untereinander und miteinander zusammen zu bringen, in Auswahl, Menge und Zusammenstellung; dazu sind Geister nötig, die aus zerstreuter Vielheit offene Ganzheit werden lassen können, wie Susanne Neumann, die darüber hinaus daraus eine Kunst gemacht hat.

Diese Geister sind Kuriere und Boten in der Nachfolge des fuß- geflügelten Hermes, der bei aller fliegerischen Virtuosiät im Gegensatz zu den Engeln gerne geerdet bleibt; ihre Aufgabe ist es nicht nur die Botschaft zu übermitteln, die ist es zum einen, aber auch das Bereitsein auf Abruf gehört dazu: Es gilt den künstlerischen Stand- By-Betrieb zu erhalten, den künstlerische Status Nascendi zu warten, das künstlerische Zünd- und Anspring-Potenzial zu schärfen, den Faden nicht reißen zu lassen.

Hold the Line!

Ohne die dafür notwendige Verbindungs-Pflege zwischen den Dingen und Menschen, für die diese guten Geister begabt sind, gäbe es sie nicht, die Kunst.

Angefangen bei ihren sommerlichen alle Sinne umschmeichelnden Gartenfesten in Waldsassen, über Symposien mit befreundeten Künstler/innen, bis zu ihrer Arbeit als Assistentin von Daniel Spoerri und als Kuratorin in eben dessen Garten in Italien, geht es auch in ihrem eigenen heterogenen und vielseitigen künstlerischen Schaffen multimedial mit den Mitteln von Fotografie, Malerei, Installation, Aktion, Objekt und Video um den schöpferischen Status der Dinge, der zwischen Vereinzelung und Vermassung liegt.

Konkret geht es um Alltags-Dinge im Zustand der Muße, d.h. im Zustand sachferner funktioneller und semantischer Ausgedientheit bzw Ausgesetztheit, in der Zeit und Veränderung fühlbar werden, es geht um den Bild-Zustand aller möglichen Gegenstände des gewählten Motiv-Kreises, um das Bild-Sein von zweckentleerten, Sinn suchenden Autobahn-Kilometern, von Fundstücken am Straßenrand, von - in einem besonderen Fall - ­ausrangierten Bestand-Teilen der bankrotten Waldsassener Porzellan-Fabrik Bareuther&Co, von Souvenir-Kitsch, von Gruß-Postkarten, Reise-Zielen, Ladenhütern, Leerständen und Sonstigem, das zu materiellen und ideellen Überbleibseln oder Pause-Machern geworden ist, sie kommen im Bett der Schwerkraft und der Müdigkeit zur Ruhe, und darin eingeschlossen ist auch das künstlerische Medium, das real existierende Kunstwerk, das in Susanne Neumanns Werk großen Raum einnimmt.

Dabei hat das Gefühl der Ortsverbundenheit zwischen Heimweh und Fernweh, zwischen Ankunft und Aufbruch, eine besondere Bedeutung. Diesem Gefühl entspringt eine große Arbeit in Susanne Neumanns Werk, die Fotoserie „Inventur“, in der die Heimstätten von rund 6500 Menschen, nämlich sämtliche Häuser, die 2007 in Waldsassen standen, portraitiert werden.

Die Einzelbilder werden als großes Boden- oder Wand-Mosaik präsentiert. Im gleichwertigen Nebeneinander des Mosaiks geraten die ursprünglichen individuellen Standorte, deren Wertigkeit als Heimat-Orts-Orte und ihre Einbindung im städtischen Kontext in den Hintergrund treten, zu Gunsten einer verallgemeinernden Rasterordnung.

Dabei nimmt das Miteinander der Gebäude Lagerform an, die Häuser, die hier als Lebensräume wahrgenommen werden wollen, werden in der Vorstellung Lettern und Lebenszeichen, die in gedrängter Fülle einen Setzkasten füllen, mit dem man Lebens-Geschichten und Geschichte schreibt, sie ergeben zusammen das Bild des Status Nascendi, das Bild des Übergangs, des Werdens und des Zaubers, der auch schon dem kleinen Neu-Anfang im Heraustreten aus dem Gewohnten innewohnt (Hesse), und ebenso wohnt er, wenn wir jetzt mit Plato gehen wollen, dem Wieder - Erkennen inne.

In diesem Wieder- Erkennen würde der Reihen-Haus-Bewohner das Bild seines vergänglichen Besitzes durchdringen, das ewige Urbild schauen und darin der Unsterblichkeit seiner Seele gewahr werden: Schnitt, Ausstellungseröffnung, gut besucht, feststellbar große Wieder- Erkennens- und Entdecker-Freude beim ortsansässigen Ausstellungs-Publikum, und sicherlich gab es auch diese Sicht: ein Antreten der Dinge in Reih und Glied, ein Bild, das zu Ausbruch, Aufbruch und Desertieren animiert.

Susanne Neumann, bezeichnet sich seit 1995, als sie nach dem Abitur mit 20 Jahren nach Italien umsiedelte, ohne seitdem einen festen Wohnsitz gefunden zu haben, als Autonautin und bezieht sich dabei auf das Buch „Die Autonauten auf der Kosmobahn. Eine zeitlose Reise Paris – Marseille“, einen Reisebericht von Julio Cortázar und Carol Dunlop. (Quelle Wikipedia)

Er geht auf eine 33-tägige Reise entlang der Autobahnstrecke Paris–Marseille zurück, die das Autorenpaar im Frühsommer 1982 als letzte gemeinsame Aktivität vor ihrer beider Lebens-Ende unternommen haben.

Ähnlich wie das Buch als quasi ethnologische Lebens-Raum-Erkundung des Un-Ortes Autobahn auftritt, macht sich auch Neumanns künstlerische Sichtweise am Straßenraum fest und verwendet dessen Unwirtlichkeit bei ihren ästhetischen Reflexionen und Formulierungen als ein prägendes und maßgebliches Grundmuster heutiger, globaler Kommunikation, für die das mentale eingeblechte Im-Auto-Sitzen nirgendwo aufhört.

Susanne Neumann kommt 1975 in der kleinen nordoberpfälzischen Stadt Waldsassen zur Welt, geopolitisch gesehen ist das zu dieser Zeit, die 1989 mit der samtenen Revolution in Tschechien schlagartig endet, eine Welt am Ende der Welt, am Rande der Westwelt, in wirtschaftlicher Hinsicht strukturschwach, die Gegend lebt von der Grenzland-Förderung, ohne echte Entwicklungs-Chancen, der Kalte Krieg versperrt mit dem so genannten Eisernen Vorhang den Weg nach Osten, träumt man als aufgeschlossener Teenager von der Ferne, dann kaum von Moskau, kaum von Lenins Schienen-Weg in die Revolution, der durch die Stacheldraht-Verschläge aufscheint, geträumt wird von der Route 66, mit Chuck Berry und Jack Kerouac quer durch die USA, das Land der Freiheit.

Susanne Neumann wächst hier als Tochter eines Porzellan-Malers auf, der den sprichwörtlichen Goldenen Boden nicht nur für das Handwerk beansprucht, und Waldsassen besitzt als barocke Kloster- und Basilika- Stadt und zusammen mit Selb als Porzellan-Standort, der über 100 Jahre alt ist, zeitlose Berühmtheit; die blauen Weihnachtsteller der von 1875 – 1993 in Waldsassen existierenden Porzellanfabrik Bareuther und Co, die vier Jahre nach der Grenz-Öffnung unter dem Druck der Ostmärkte aufgeben musste, sollen später in einer rosetten-förmigen Wand-Installation der Künstlerin an die Zeit erinnern, als das weiße Gold der Oberpfalz das arme, zurückhaltende Grau und Grün der Region mit dem Schein glanzvollem Selbst-Bewusstsein überstrahlte.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Glashütte Lamberts Waldsassen GmbH, die Manufaktur produziert seit 1887 in der Mundblas-Methode und ist bis heute eine international geschätzte Top-Adresse für die Glas-Verarbeitung in Kunst und Architektur.

Die Beschreibung der geistigen Landschaft aber wäre unvollständig, würde der große Protagonist aufrecht-aufragender Seinshaltung auf dem Boden der Steinpfalz, wie die Oberpfalz auch heißt, unerwähnt bleiben, auch wenn uns das hier viel Platz kostet. Diese auratische, weltoffene Person, die das Regionale mit dem Kosmopolitischen und die Kunst mit der Wirtschaft verband, war Philip Rosenthal (* 23. Oktober 1916 in Berlin; † 27. September 2001 in Selb).

Einer seiner Leitsprüche könnte die Selber Erfolgsgeschichte titeln und dessen Verwirklichung lässt eine Atmosphäre des Besonderen entstehen. Er lautete: „Wer zu spät an die Kosten denkt, ruiniert sein Unternehmen. Wer zu früh an die Kosten denkt, tötet die Kreativität." Dahinter verbirgt sich ein hohes Menschenbild, in dem sich nicht zuletzt auch Sozialismus und aristokratischer Feinsinn zu mehr als der Schaffung von Flair miteinander verbinden.

Als einer der ersten deutschen Unternehmer führte er 1963 ein Beteiligungssystem für Arbeitnehmer ein, „Sagen und Haben“, wie Rosenthal sagte, durch Mitbestimmung und Vermögensbildung am Produktivkapital.

Als Susanne Neumann bezüglich ihrer Lebensplanung Entscheidungen trifft, Träume auf ihren Wahr-Werde-Gehalt hin prüft, ist die große Zeit vorbei und es sind andere, Bezugs-Punkte- und näher stehende Personen, die den „Stein ins Rollen“ und das von Kindesbeinen an wahrnehmbare bildnerische Talent auf den Weg bringen.

Insbesondere ist hier ihr Kunstlehrer auf dem Gymnasium zu nennen, der sie inspiriert, informiert und fördert und der Schülerin dabei hilft, die Türen zu öffnen, die vom kunsthistorischen Raum zwischen Klassik, Sturm- und Drang, Romantik und Postmoderne ins reale Leben führen. Sie liest viel, Ingeborg Bachmann „Malina“, hört das Hörspiel „ Die Zikaden“.

1995 führt der Weg in einem alten Golf nach Italien, Kunst und Überlebens-Kunst verbinden sich, Neumann schlägt sich als Putzfrau, als Zimmermädchen durch, lernt Italienisch im Alltag der einstigen Renaissance-Stadt-Staaten, lernt Leute kennen, integriert sich in der toskanischen Lebenswelt, arbeitet vor allem in Florenz und Piemont und studiert von 1997 - 2001 Malerei an der Staatlichen Akademie in Florenz bei Prof. Gustavo Giulietti. 2002 Abschluss des Studiums mit Auszeichnung.

Ab 2000 Assistenz bei Daniel Spoerri, zu dem sie sich nach der Lektüre eines Art-Artikels aufgemacht hat. 2004 Umzug nach Berlin, dort Gründungsmitglied der »Gallery Sleeping Dogs«; 2007 Kulturbeauftragte im »Giardino di Daniel Spoerri«, Seggiano. 2010 Aufenthalt in Wien.

1997 war die Stiftung "Il Giardino di Daniel Spoerri - Hic Terminus Haeret" ins Leben gerufen und der Garten eröffnet worden, ein Work In Progress, an dem sich mittlerweile 50 Künstler mit 105 Installationen beteiligen.

Susanne Neumann hat 2000 als Assistentin angefangen, die dem älteren, berühmten Kollegen zur Hand war, als dessen 100 Meter langer Fries „Genetische Kette des Flohmarktes“ entstand.

Seit 2007 ist Neumann Mitglied des Stiftungs-Rates, seit 2011 ist sie neben der Stiftungs-Präsidentin, der Kölner Künstlerin Barbara Räderscheidt, Vizepräsidentin und verantwortlich für Landschaftspflege und Instandhaltung der Skulpturen.

Ab 2010 kommt ein neuer Lebensraum hinzu: Wien und ein Atelier im 5. Wiener Gemeindebezirk.

Die Arbeitsbereiche und Tätigkeits-Orte, die die offizielle Vita auf Neumanns Homepage anzeigt, sind, um uns wieder zu erinnern: Malerei, Autobahnen, Landschaft, Alpen, Reisen, Souvenir und "mapping". Video, interaktive Fotoprojekte, Archivierung zwischen Forschung und Fiktion. Ausstellungen in der Schweiz, in Deutschland, Dänemark, Polen, Österreich und Italien.

Mit all diesen Daten ist nicht nur ein Lebens-Lauf, eine chronologische Übersicht gegeben, sondern es ist im Zusammenhang der bezeichneten Örtlichkeiten auch ein künstlerisches Setting, ein Projekt-Rahmen aufgestellt, der in der Achse Seggiano – Waldsassen abschließt.

Auf dieser Achse ist Susanne Neumann qua VW Golf als multimedialer Kunstkurier und Ideen-Botin der Kunst tätig, deren Arbeits-Form wir eingangs grob als künstlerische Stand-By-Wartung skizziert haben.

Gleichzeitig lässt sie sich, warum denn nicht?, mit Verweis auf die Arbeits-Markt-Lage der Oberpfalz, in der die Zahl der Berufspendler stetig ansteigt, auch als Berufs-Pendlerin bezeichnen, mit dem Unterschied zu den anderen Oberpfälzer Kolleginnen und Kollegen, dass sie ihren Arbeitsplatz schon im pendelnden Unterwegssein hat.

Im vergangenen Jahr pendelten laut Bundesagentur für Arbeit mehr als 175.000 Oberpfälzer täglich, um zur Arbeit zu kommen.

Die Einpendlerzentren sind Regensburg, Amberg und Weiden. Mehr als 16.500 Menschen fahren allein nach Weiden.

Eine Arbeitnehmerin, zu deren Arbeit es gehört, heute bei uns zu sein, pendelt von Waldsassen nach Seggiano.

Die Sache soll nun deutlicher werden, im Schatten der Zypressen: Was genau ist denn die Botschaft der Botin, die übermittelt wird, die übermittelt werden könnte?

Dem Giardino, dem Süd-Pol der Achse, kommt dabei eine besondere Funktion zu.

Er ist Matrix, Modell, Muster.

Die Landschaft und die Menschen-Mengen, die den Giardino besuchen, wirken an deren Zustandekommen mit.

Die genannten Kunst-Gebilde bilden sich aus den spezifisch statischen Orts-Atmosphären, dem fließenden Wegenetz mit seiner Fülle an Wahl-Möglichkeiten und dem Takt der spürbar atmosphärischen Schwellen, die zwischen den Örtlichkeiten liegen.

Der Begriff des Skulpturalen und Plastischen erweitert sich dabei über die Bildhauer-Objekte hinaus und integriert auch die landschaftlichen Zwischenräume im Übergang ihrer Nähen und Fernen, die Vielfalt der Zugangs-Formen und ihrer kommunikativen Verbindungen.

Die Plastiken, die über den Park-Raum verteilt sind, werden in der hier vorgegebenen künstlerischen Vorstellung als Impulsgeber wirksam, als Transformatoren, Bestärker und Verstärker, die der Idee oder der Botschaft, die von Kunstwerk zu Kunstwerk kommuniziert wird, die Zauberkraft der Wider-Erinnerung geben.

Das 17 ha große Garten-Gelände ist somit als künstlerisches Prozess-Feld angelegt, in dem das Publikum, wenn auch in der Mehrzahl unbewusst, als Prozessor und Bote unterwegs ist.

„Dreaming within a dream“ ist ein Film über den Skulpturen-Park von Daniel Spoerri, den Susanne Neumann vor rund zehn Jahren hergestellt hat. Susanne Neumann rüstete dazu Garten-Besucher bzw potenzielle Kunst-Boten mit Einweg-Kameras aus. Mit diesen Geräten konnte sichtbar gemacht und fixiert werden, was Standort für Standort von den Boten weiterbefördert wurde: Bilder.

Im Medium der Fotografie.

Der Film gibt diesen Bildern eine interpretierende Facon.

Das Medium ist die Botschaft.

Dabei geht es nach unserer Ansicht um die gleich näher beschriebene inhärente Schwellenstruktur der Bilder, zu der auch das körperhafte Nähe-Ferne-Verhältnis von Bote, Bild und Betrachter im Geiste konkreten Begreifens gehört.

Interessant und aufschlussreich ist es, den Giardino-Film mit Neumanns filmischer Arbeit „The Doors“ zu verknüpfen, die zwischen 1993 und 2004 entstanden ist.

„The Doors“ hat werk- weisende Bedeutung. Es ist eine 16-minütige Montage filmischer Ready mades, von Türszenen aller Arten Kino- und Fernseh-Film, eine Iteration von Türszenen, in denen in endloser Reihe Türen und abermals Türen in Türen geöffnet und zugeschlagen werden, ein bizarrer, urkomischer Mix aus E- und U-Kunst, dessen Dichte explizit Neumanns romantische Auffassung vom Wesen des Bildes zur Erscheinung bringt:

Das Bild ist mentale Schwelle und Durchgangsstelle, sie trennt und verbindet, die sichtbare und unsichtbare Welt, Innen und Außen, Bekanntes und Fremdes, Existenz und Essenz, Gegebenes und Kommendes, Fakten und Geist und konstituiert das Dazwischen als eigenständigen Raum.

Das Bild ist Tür und Tor, Fenster und Vorhang, der Lidschlag zwischen Wachsein und Schlaf, der Wimpern-Fächer zwischen Wirklichkeit und Welt.

Die Welt im Bild erscheint so als ein ständiges Öffnen und Schließen von Welten und Welt.

Ist das O-Ton 19 Jahrhundert? Ist das old-fashioned?

Von Vorgestern?

Könnte sein, wenn die Motoren-Geräusche vom Fahrn-Fahrn-Fahrn-Auf-Der-Autobahn und das Hacken der Computer-Tastaturen, die sich aus dem Off einmischen, nicht alles übertönen.

Im Wehen der Ferne klingt es herüber.

Sie sind uns nur zu bekannt, diese Zeilen der deutschen Romantik, in diesen Zeilen wurde das Kleine und Nebensächliche, diese Platzhalter der raumlosen Schwellen-Räume, sooft schon als Tür-Öffner in die Unendlichkeit entdeckt, als Rezeption im Hotel „Alternativ“ und „Heile Welt“ wahrgenommen, dass darüber die Welt vielleicht schon so sturm-und-drang-gehöhlt und wind-durch-pfiffen wie ein Schweizer Käse geworden sein könnte, würde man nur einmal genau hinhören, hinsehen wollen:

„Schläft ein Lied in allen Dingen,


Die da träumen fort und fort,

Und die Welt hebt an zu singen,

Triffst du nur das Zauberwort.“

Überall und in allen Sprachen wird das Zauberwort gesprochen und bringt man die Welt zum Klingen und wird Sing-Sang konsumiert.

Zaubert es irgendwo wirklich, lässt die heutige, permanent Wirklichkeit simulierende und alle Welt dominierende Zauberwelt des World-Wide-Web mit seinen Bilder-Fluten wirkliche Zauberer zu, gibt es sie noch, hat es sie jemals gegeben, die Boten, die das Zauberwort zum Adressaten bringen, und welches sind die Dinge, die da gemeint sind?

Wo sind sie? Im Schatten des Internets

Unabhängig davon, ob es sich bei den Botschaften um wirklich zaubernde Zauberworte handelt, die uns heute genauso wie damals fehlen und vielleicht immer schon gefehlt haben, meint der Medientheoretiker Peter Weibel, dass sich das Wesen heutigen Botschaften-Transfers vom Wesen seiner nicht-elektronischen Vorgänger stark unterscheidet.

Mit dem Auftreten der technischen Kommunikationsmedien findet eine Trennung von Signal und Körper, von Botschaft und Bote statt, sagt Peter Weibel und spricht in diesem Zusammenhang von einem Verschwinden der Ferne und teilt dieses in zwei Phasen.

Die erste Phase ist geprägt von der materiellen, körperlichen und maschinellen Überwindung von räumlicher und zeitlicher Entfernung. Eisenbahn, Auto, Flugzeug usw. dienen Körpern dabei als Maschine zur Überwindung von Distanzen. Diese werden in der zweiten Phase körperlos, immateriell überwunden. Die Botschaft reist ohne Körper. Sie wird technisch übertragen bzw. übermittelt.

Botschaft, wo ist Dein Körper? Der Schatten werfende Körper des Boten? Ich denke da gerne an Richard Long, den Land-Art-Künstler auf seinem Gang durch die Sahara. Denke an seine Körper-Raum-Manifestationen, die Steinkreise, die mit dem Schuh in den Boden gekratzte geometrisch exakte Gerade, vor der Ferne des Sand-Horizonts.

Fragen an die vielen Face-Book-Zauberer, die uns an ihrem Suchen nach der neon- blauen Blume und ihrem Sorgen um den unsterblichen jungen Werther millionen- und milchstrassen-haft rund um die Uhr teilhaben lassen.

Soviel ist gewiss: Die Dinge, um die es dabei geht, sind keine Dinge, weil keine Körper mehr, die in körperlichen Körper-zu-Körper-Verhältnissen stehen, weil Programme, Reiz-Reaktions-Muster via Datenautobahn.

Alles ist zu Bildern gemacht, von denen man sich Bilder macht, denen gemäß man sich Dinge denkt, es sind Simulakren, Oberflächen, Schichten von Bildoberflächen: Mise en abime, Iteration: schälbar wie Zwiebeln, und das einzig Körperhafte daran ist, dass es zum Heulen ist. Es macht müde.

Aber Hurra!

Das offen und unterschwellig viel bemühte Gedicht „Wünschelrute“ von Joseph Freiherr von Eichendorff, hat damit, das auf den singenden klingenden körperlich spürbaren Punkt zu bringen, was Susanne Neumann macht, einmal keine Mühe, es macht nicht müde.

Im Gegenteil, es fordert heraus, denn das Ding, um das es bei der Waldsassener Künstlerin geht, ist bestimmt kein Ding im klassisch romantischen Sinn - beim Mystiker Jakob Böhme war es ein kupfernes Teekesselchen, das er polierte - es ist vielmehr ein von Lack und Chrom glänzendes industrielles Massen-Produkt, die Verkörperung eines Alltags-Mythos, das bedeutendste Verkehrs- und Kommunikations-Mittel unserer Tage, das sich auch gerne polieren lässt, aber nach Faktenlage die Welt nicht zum Singen bringt, es ist der Umwelt-Killer Nr 1, so gesehen eigentlich kein auch nur ansatzweise romantisches Ding.

Besagtes Ding, das Sie natürlich schon erraten haben, geht mit der Zeit und gibt Gas, das ist sein Wesen, Überholen ist sein Wesen, Warten nicht, Ankommen auch nicht, seine Wunsch-Geschwindigkeit ist das Licht; so hat es mit seinen Pferdestärken Goethes Flucht-Kutsche auf dem Weg nach Italien überholt, des Schusters Rappen von Franz Sternbald überholt und im Singsang der Reifen Huckleberry-Finn auf einem der globalen Asphalt-Mississippis hinter sich gelassen:

Das Ding heißt Auto und Susanne Neumann ist Autonautin und das Auto ist ein Ier Golf, der mittlerweile als antik klassifiziert werden darf.

Julio Cortázar und Carol Dunlop, ihre Vorläufer auf der französischen Kosmobahn, fuhren einen uralten Dach-Zelt-Bus, in ihren Augen ein freundlicher Drache, er freute sich über Kosenamen. Er war keine Maschine, sie waren Kunst-Kuriere.

Zauberworte.

Eine Situation, in der Neumanns Fiat eine ähnliche Physiognomie hat, ergibt sich bei der Installation „Fiat 126 – Moving around and fucking the loneliness away“ . Grob gesagt sieht hier der Fiat fern, er steht in einer Garage, die Türe ist gerade soweit geöffnet, dass die Spannungs-Schwelle zwischen Offen und Geschlossen, zwischen Innen und Außen stabil bleibt.

Laute Fahrgeräusche dringen aus dem Gebäude, Licht im Halbdunkel des Inneren, die Wand vor Kühler und Windschutzscheibe dient als Projektionsfläche, 4,5 Stunden rund um den Lago Maggiore, Bilder, Bilder, Bilder, 24 Bilder/Sekunde, 24 x pro Sekunde die Wahrheit: Was hinter den Bildern ist? Beton!

Autonaut/innen allerdings überholen nicht.

Wenn sie so schnell fahren wie Susanne Neumann in ihrem Film „Il Lago“, der die automobile 4,5-Stunden-Umrundung des Lago Maggiore festhält, mit Geschwindigkeiten, bei denen die Fenster-Bilder verwischen, dann lassen die Autonaut/innen den Film im Kopf-Kino rückwärts laufen und bewegen sich quer durch die Vergangenheit rückwärts nach vorne.

Das Film-Bild als Außenwelt-Spiegel öffnet die Innenwelt-Türe, öffnet das Tor zur Welt, lässt die historische Fall-Türe herab und lädt ein in den Raum der Geschichte.

Der Film „Dreaming within a dream“, dessen Betrachtung wir uns vorhin genähert hatten, besteht aus Überblendungen und einer Folge kurzer Schnitte, die Film-Aufnahmen des Parks mit Fotografien, mit Standbildern mischen.

Die Fotografien gehören wie gesagt zu dem gleichnamigen Projekt, das Susanne Neumann 2002/03 mit dem Park-Publikum durchgeführt hat, es wurden 200 Einmal-Kameras vergeben, 4597 Aufnahmen sind entstanden, in dem Film, der diese Aufnahmen verwendet, wird das Auge an die Schwelle seiner Aufnahme- und Unterscheidungsfähigkeit geführt, das Auge gerät vor einer Kulissen aus Zikaden-Gesang, Gesprächs-Fetzen und lauter und leiser werdenden Schritten in einen Bilder-Strudel, der Einzel-Bilder und kurze Sequenzen in ein optisches Rauschen aufzulösen beginnt.

Der Fenster-Vorhang-und Tür-Modus stellt sich ein.

Diese Darbietungs-Art und der Umstand, dass in der Bilder-Menge Durchleuchtungen und Screenings unzähliger Sichtweisen enthalten sind, lässt den gezeigten Bilder-Strom auch als Widerspiegelung des kollektiven Bewusstseins-Stromes begreifen.

Der Park wird in der Vorstellung des Betrachters zum realen, betretbaren Sinnbild eines gemeinschaftlich geistig-sinnlichen Raumes, in dem der Homo Quaerens (der Suchende Mensch) seine Heimat hat: insbesondere als Körper unter körperlichen Wesen, Haut-Wesen, Gesichts-Wesen, Gehör-Wesen, Tast-Wesen, Bewegungs-Wesen, Geruchs-Wesen, Geschmacks-Wesen: Dieser Raum enthält ein besonderes Versprechen:

Tritt ein, hier findest Du Dich, Mensch, als Teil des Ganzen wieder.

Singe! Singe so mitreißend, dass die Welt mitsingt. Zikaden.

Video. 2012. Titel: Grün die Wälder, grau die Burgen. Der Waldsassener Männer-Gesangs-Verein tritt auf. Wiedergabe einer Gruppe mittelalter und älterer, einheitlich gekleideter, gestuft statuarisch hintereinander stehender singender Männer. Leichte Wendung der links und rechts Stehenden ins Zueinander zur Mitte hin.

Eine singende Körper-Wand aus 30 kompakten Einzel-Körpern in hellgrauen Anzügen baut sich vor dem Betrachter auf, die Darstellung bleibt statisch.

Text und Klang wiederholen sich unverändert.

Bis auf die Mundbewegungen ist alles unbewegt.

Die Welt hebt an zu singen.

Grün die Wälder, grau die Burgen, Oberpfalz mein Heimatland.

Doch die Illusion, die den Betrachter leicht verführt, sich fallen zu lassen und mit dem Gemeinschafts-Geist, der Massen-Seele und der Orts-Aura, dem Genius Loci, zu verschmelzen, wird auch gleich wieder in alter romantischer Tradition gebrochen:

In der auffälligen Demonstration der medialen Möglichkeiten, die im Stakkato permanenter Überblendungen und kürzester Schnitt-Folgen hervortritt und sich analog zum Film in Neumanns gleichförmigen Gemälde-Reihen wiederholt, bringt das bildnerische Medium seine technische und dienenden Funktion in den Fokus, dies geschieht auch in besagten Gemälde-Reihen von Windschutzscheiben-Fluchten, von ländlichen Insignien wie Lang-Holz-Stapeln und geklufteten Granit-Block-Türmen, von Matterhorn-Darstellungen und Straßen-Baustellen.

Was den Betrachter jetzt anblickt, als er es anblickt, ist nicht mehr das Bild als Spiegel, sondern als Link der technischen Moderne, der in desillusionierender Weise auf die eigene Wirklichkeit, auf die Objekthaftigkeit eines Instruments verweist.

Seine Eigen-Wirklichkeit kommt zum Tragen: als Herstellungs-Mittel von Bildwirklichkeiten, als Herstellungsmittel von Wirklichkeits-Illusionen und optischen Suggestionen.

Diesen Suggestionen eignet die seltsame Eigenart, dass sie dem Betrachter mindestens so echt wie das Echte, d.h. das Abgebildete, erscheinen, ja echter. Er sieht etwas Unsichtbares, hört etwas Unhörbares. Zikaden.

Die Störung klassischer Welt-Versprechungen und Bild-Welt-Erwartungen nach unbegrenzter Dauer und Tiefe ist ein bejahrtes künstlerisches Prinzip, in seiner Verbindung mit dem Mythos Auto führt es in die 1960/ 70er Unruhe-Jahre, wo mit Jean-Luc Godards „Weekend“, HA Schults Aktion „20 000 Kilometer“ und Wim Wenders „Im Laufe der Zeit“ für Susanne Neumann künstlerische Vaterschaften vorliegen mögen.

(HA Schult fuhr 1970 im Auto 20 Tage 20.000 km zwischen München und Hamburg hin und her, ununterbrochen. Die Windschutzscheibe wurde nach jedem Stopp ausgewechselt, signiert und verkauft.)

Die Sehnsucht nach dem Ganzen, nach Überschaubarkeit, Körperlichkeit, Nähe, Ferne und Heimat

ist, so obsolet es auch erscheinen mag, ein antropologischer Grundzug, der nicht lassen kann von der Welt-Sucherei.

Die bildnerischen Medien versprechen in diesem Zusammenhang unverbrauchte Wünschel - Ruten - Potenz.

Wie weiter oben ausgeführt: es gibt begründete Zweifel! Leere Versprechungen?

Was da zum eigentlichen Erlebnis wird, ist nicht das Einswerden mit dem Ganzen.

Es sind, um es mit den Werk-Begriffen der Künstlerin zu sagen, Bruch und Dehnung der konventionellen optischen und narrativen Spannungs-Bögen und das Springen zwischen getrennten Fühl -, Denk- und Welt-Ebenen.

Es ist das Unterwegssein zwischen den Teilen.

Das Zurecht-Schneiden mit dem Kilometer-Messer.

Das Verbinden der Teile mit der Tacho-Nadel.

Tacho-Nadel ... auch schon fast wieder eine Reminiszenz an vergangene Jahrhunderte, heute geht`s ja digital.

Dieses und vieles andere, das schon ausgiebig zur Darstellung kam, kommt als Sinn und Welt versprechende Reiz-Momente heran, die wie die Insekten auf der Windschutzscheibe nach einem kosmologischen Zufalls-Prinzip in den Bild-Ausschnitt geraten zu sein scheinen.

1058 Kilometer, von Modena sind es noch 140 Kilometer bis Florenz, dann noch zwei Stunden Fahrt nach Seggiano.

10 Stunden Fahrt, im Stück. Immer das Bild der Windschutzscheibe vor Augen.

Vor allem bedeutsam ist dabei Neumanns Gleichstellung von Strasse, Auto und Bild als Kommunikations-Mittel.

Das Auto fungiert dabei als eine Art Rohr-Post-Behälter.

In dem Botentum, das sie in ihren Aktivitäten im Sinne dieses Medien-Begriffs auslebt, ist sie als Fahrerin, Filmerin, Malerin und Macherin immer hautnah dran.

Die körperliche Beanspruchung wird zum Symbol der eigenen Geschichtlichkeit. 10 Stunden Fahrt.

Da erfährt die Botin, dass das Erlebnis der Strasse, sie, die Botin, zur Botschaft macht, die sie eigentlich übermittelt.

Die Botschaft, die der Rohr-Post-Auto-Behälter beinhaltet, ist die Botin:

Die Kunstwelt, die uns sagen will, dass es sie gibt:

In Fleisch und Blut.

Wolfgang Herzer, Kunstprofi, Weiden