Weißes Gold: Über das Verschwinden einer Porzellanfabrik & andere Meraviglien

Ein Projekt von Susanne Neumann in der Zentrifuge

Als weißes Gold und andere Meraviglien bezeichnet Susanne Neumann das Porzellan und weitere Dinge, die sie aus der nun verschwundenen Porzellanfabrik Bareuther & Co. in Waldsassen geborgen hat. Die Künstlerin organisierte eine regelrechte „Rettungsaktion“ in den Jahren 2007/2008, um aus dem seit der Fabrikschließung, 1987, immer mehr zerfallenen und heruntergekommenen Porzellanunternehmen diverse Gegenstände wie Gussformen, Porzellanerzeugnisse, Pläne etc. mitzunehmen. Zum Glück waren viele alte Schachteln vor Ort vorhanden, dank denen die Künstlerin eine Menge Kostbarkeiten bergen konnte.

Von Kindesbeinen an ist die Porzellan-Produktion eine Selbstverständlichkeit im Leben der Künstlerin gewesen: In Waldsassen aufgewachsen, gehörte die Fabrikation des „Weißen Goldes“, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Stadtleben prägte, einfach zum Alltag. Der Vater Susanne Neumanns wurde in der Fabrik zum Porzellanmaler ausgebildet und auch ihr Bruder ergriff denselben Beruf, allerdings erfolgte sein beruflicher Werdegang in einer hierfür spezifischen Schule.

Hautnah kam die Künstlerin also in Berührung mit dem „Thema“ Porzellan. Dass die Herstellung des edlen Materials nicht nur aus dem feinkünstlerischen Bemalungsschritt besteht, ist klar: die Arbeitsvorgänge in der Fabrik waren größtenteils harte, grobe und auch stupide Tätigkeiten. Und der feine Staub verursachte mancher Person gesundheitliche Probleme.

In der aktuellen Ausstellung will Susanne Neumann eine ganze Palette von Facetten, die in Zusammenhang mit der Porzellanproduktion stehen vorführen und lebendig machen, es sind dies nicht zuletzt die soziologischen Aspekte, die äußerst interessant sind.

Erst im zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurde das Geheimnis der Porzellanherstellung gelüftet und somit die Ära des ausschließlichen Fremdimports aus China beendet. Die Porzellanmanufaktur in Meissen wurde 1713 vom sächsischen Kurfürst August dem Starken initiiert und auch die folgenden Produktionsstätten Wien (1718) und Venedig (1720) standen in Obhut eines Herrschers respektive eines Staates. In der Pionierzeit waren die Standorte der Fabriken fast ausschließlich Residenzstädte. Im späteren 18. Jahrhundert bildete sich in England im nördlichen Staffordshire um Joshua Wedgwoods Steinzeugproduktion ein kleines protoindustrielles Distrikt heraus. In Deutschland, d.h. Oberfranken und Thüringen, konzentrierte sich im 19. Jahrhundert die keramische Industrie und besonders die Porzellanproduktion hauptsächlich auf der Basis der Standardfaktoren Holz und Kaolin sowie einer qualifizierten Arbeiterschaft.

Anhand der aufschlussreichen Dokumentation, die Susanne Neumann in ihrer Ausstellung anhand von Fotomaterial, Lohnzetteln, Grundrissplänen, Installationen, Filmen und Situationen dem Betrachter bietet, wird man in die Stimmung in und um der Fabrik Bareuter & Co. versetzt. Der Abriss des großen Industriekomplexes, das während über 100 Jahren organisch, sukzessive gewachsen war, kann einem Weltuntergang gleichgesetzt werden, denn die alte Welt mit ihrem seit Generationen eingespielten Leben fand somit ein abruptes, endgültiges Ende.

In der Ausstellung erlangen wir stimmungsvolle, fast sentimentale und manchmal sehr melancholische Impressionen. Es sind dies wie Fragmente eines Riesen, die herumliegen und je eine Geschichte zu erzählen haben.

Geschichten und der äußerst persönliche Bezug zum Ort, zu den Menschen, die dort tätig waren und zum Material Porzellan, spielen eine wichtige Rolle, weshalb Susanne Neumanns Annäherung an das Thema auch unglaublich poetische Aspekte aufzeigt. Es geht ihr nicht darum, das fertige „weiße Gold“ in seiner Pracht vorzuführen, nein, jenes kommt nur am Rande vor. Es ist ihr wichtig das ganzen drum und dran zu zeigen, das Leben, das Sterben der Produktion und das gänzliche Verschwinden jeder ersichtlichen Spur zu dokumentieren. Sie entführt uns in eine spannende Welt eines dereinst gewesenen Lebens und in die Erinnerungen daran.

www.blumerkamp.ch

 

Dr.phil. Gabriela Blumer Kamp, Zürich